Panorama

Hip-Hop-Musik
Copyright - Mike Zenari
Hip-Hop-Musik

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Hamilius

Wer sich im Luxemburg der 1980er-Jahre für Rap interessiert, kommt sich ein bisschen so vor wie ein Salsa-Fan in Grönland oder ein Black-Metal-Anhänger in Angola: Es ist nicht unmöglich, aber man muss sich vor allem an eine Handvoll passionierter Rapper in den eher verruchten Gegenden des Großherzogtums halten. Und genau da liegt das Problem: Der Rap – neben Breakdance, DJing und Graffiti eine der vier Säulen des Hip-Hop – und die meisten seiner Texte sind vom Leben in den sozialen Brennpunkten inspiriert. Und seien wir ehrlich: Davon gibt es nicht viele in Luxemburg. Der Hip-Hop entstand in den 1970er-Jahren auf einer Blockparty in der Bronx mit DJ Kool Herc (der 2009 in der Philharmonie während der End-of-Season-Party auflegte) an der Spitze. Der luxemburgische Rap indes – so kann man vermuten – erblickte in der früheren Unterführung des Place Émile-Hamilius das Licht der Welt, dem damaligen Zentrum der urbanen Kultur der Hauptstadt. Mittlerweile ist der Aldringen passé. Stattdessen gibt es dort ein Einkaufszentrum mit einem Fnac, in dem (in geringem Umfang) auch Rap-Platten verkauft werden. Schließlich braucht sich der Rap „made in Luxembourg“ nicht mehr in einer grafftibesprühten Unterführung zu verstecken. Seine Ausstrahlung reicht von Nord nach Süd, von Ost nach West und über unsere Grenzen hinaus, mit einer Produktionsqualität, die anderen Rap-Szenen in nichts nachsteht, und in allen Sprachen, die unser Land ausmachen.

DJ Kool Herc End-of-Season-Party, Philharmonie Copyright - Sébastien Grébille

Die erste Welle

1983 legt DJ Jerry in Esch-sur-Alzette Disco, Funk und Soul auf. Zweifelsohne ist er der Erste, der hinter den Decks eines Clubs in Luxemburg The Sugarhill Gang scratcht. Mit Freunden gründet er Breakdance Robot Electric Boogie Smurfing, die erste Hip-Hop-Tanzgruppe der Region. Einige Jahre später produziert Mike Welter aka DJ Mike MC von Bettemburg aus englischsprachigen Rap, der mehr auf Clubbing ausgerichtet ist. Zwar besteht seine Ambition eigentlich einzig und allein darin, den Dancefloor zu rocken, aber sein Stil, den er selbst als „Party-Rap“ bezeichnet, setzt sich durch. 1988 gibt er zusammen mit DJ Mich Van Tune (Master J) eine Maxi-Single mit dem Titel „Want-Ya-Back“ heraus. Mit seiner Gruppe DJ Mike MC & The Lyrical Force veröffentlicht der B-Boy Ende 1989 „Move Your Body“, das erste in Luxemburg produzierte Hip-Hop-Album. Bald folgen Termine im Ausland, vor allem in Deutschland – der luxemburgische Rap beginnt, sich einen Namen zu machen.

Die goldenen 2000-er

Mitte der 2000er-Jahre streifen Godié, Lil Star, Le K, CDB und Trèfle 4 durch die Straßen der Hauptstadt, um ihre CDs zu verkaufen – von Hand zu Hand. Der Rap ist noch immer Underground, aber die Mitglieder von A.L.S. setzten sich mit ihrem Stil durch, insbesondere mit dem „Album 5 Étoiles“. In den Fußstapfen von A.L.S. machen die Bossmen, zwei Brüder, die auch auf Französisch rappen, mit ihrem explosiven Flow schnell auf sich aufmerksam. Ein anderer Künstler in der frankofonen Rap-Szene Luxemburgs ist Alain Tshinza, besser bekannt als Gospel Emcee und Bruder von Kalo du 78, einem weiteren talentierten Rapper im französischsprachigen Rap der 2000er Jahre der Stadt. Im Jahr 2010 bringt Alain Tshinza den Dokumentarfilm „Hamilius – HipHop Culture in Luxembourg“ heraus, der die über 30-jährige Hip-Hop-Kultur nachzeichnet. Das Multitalent lebt heute in Montreal und setzt seine erfolgreiche Karriere auf der anderen Seite des Atlantiks fort.

Godié wiederum ruft 2012 die Punch Ligue ins Leben, bei der sich wie bei den Rap Contenders oder WordUP! MCs in Live-Battles öffentlich verbal duellieren. Die Kulturfabrik in Esch-sur-Alzette ist bis auf den letzten Platz ausverkauft – und backstage der französische Rapper Youssoupha.

Youssoupha hält sich in Luxemburg auf, weil er Kontakt zu C.H.I. knüpft, dem luxemburgischen Beatmaker, der u. a. schon für IAM komponierte. Éric Bintz beginnt schon bald, eine Menge Sound für ihn zu produzieren. Infolge dieser Zusammenarbeit unterschreibt Taipan, der Cousin von C.H.I., bei Bomayé Musik, Youssouphas eigenem Label.

Op Lëtzebuergesch wann ech gelift!

Aber auch die großherzogliche Rap-Szene auf Luxemburgisch kommt in Flow. 2003 komponiert die Gruppe The Gentles im Rahmen einer Verkehrssicherheitskampagne den Hip-Hop-Song „Firwat“ – der erste in Lëtzebuergesch, der im Radio gespielt wird. T The Boss, der direkt aus dem Bahnhofsviertel in Luxemburg kommt, und seine Gruppe Foundation produzieren Alben und spielen auf allen Bühnen des Landes. 2009 erklimmt ihr Video-Clip in der Sendung „Planet Hits“ in RTL den ersten Platz. Die gleiche Leidenschaft findet man bei Soleuvre mit Z-Town Massiv und DJ PC sowie NUNZ am Mikrofon, als Repräsentanten ihres Kiez.

Der Rap auf Luxemburgisch wird immer facettenreicher, und 2006 baut sich die Gruppe De Läb, gegründet von Corbi, David Fluit und Spenko, schnell eine solide Fangemeinde auf. Das Trio drückt auf hohem Niveau gesellschaftliche Kritik mit Ironie und Sarkasmus aus. Und noch heute ist De Läb die Speerspitze des Luxemburger Raps. Corbi ist auch als Solo-Künstler tätig: Das erste Album von De gëllene Stull kommt 2015 heraus. Zur gleichen Zeit gründet Fluit sein eigenes Label: De Läbbel wird für eine ganz neue Generation, die die Codes ihrer älteren Brüder übernimmt, zu einer echten Plattform für urbane Musik. Maka MC, Ananda Grows, aber auch die Sängerin Nicool, die ihren Alltag mit Bravour in Reime fasst, schließen sich der Crew an. Maz wiederum entfesselt einen düsteren Flow in Englisch und steht am Anfang einer bereits sehr vielversprechenden Karriere.

Gegenwart und Zukunft

Turn Up Tun, Skinny J, Tommek, Bandana, Don Piano, Räpzodi, Culture the Kid und die Gruppe Stayfou sind Teil der neuen Generation, die auf Luxemburgisch rappt und mit unzähligen Clips auf YouTube zu sehen ist. Im Süden rappen Young Loko und Jah Arrogante, die beide kapverdische Wurzeln haben, auf Kreolisch. Lil JSA, ebenfalls aus Differdingen, produziert auf Englisch einen melancholischen Rap à la Lil Peep. Und in Esch-sur-Alzette kommt man am Kollektiv 40 Gvng nicht vorbei. Ebenfalls aus Esch kommen die beiden Beatmaker von Magestick Records, denen das Kunststück gelang, in den Vereinigten Staaten eine goldene Schallplatte zu holen. Eins jedenfalls ist sicher: Der luxemburgische Rap wird immer populärer und hat eine große Zukunft vor sich.

Sébastien Vécrin