Panorama

Theater
©Patrick Galbats
Theater

Theater

Zwar geht die Tradition der geschriebenen und gespielten Theaterstücke auf die in den Kirchen aufgeführten Mysterienspiele sowie der Commedia erudita des Jesuitentheaters des 16. und 17. Jahrhunderts zurück, aber es bedurfte erst zweier Entwicklungen, damit sich eine eigenständige Gattung der darstellenden Kunst in Luxemburg herausbilden konnte: Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts begannen die ersten Autoren, wie Edmond de la Fontaine, besser bekannt unter seinem Pseudonym Dicks, Batty Weber oder auch Max Goergen Stücke auf Luxemburgisch zu schreiben. Dabei handelte es sich häufig um Vaudevilles und Operetten, vergleichbar mit den Boulevardstücken der großen Nachbarländer. Und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schließlich fand eine Professionalisierung der Theaterinfrastruktur statt.

Spielstätten und Institutionen

Heutzutage lässt sich der Theatersektor wie folgt beschreiben: Auf dem Gebiet Luxemburgs gibt es sechs Theater.

Zwei Stadttheater:

• Das Grand Théâtre am Rond-Point Schuman und das Théâtre des Capucins in der gleichnamigen Straße in der Fußgängerzone von Luxemburg-Stadt haben sich unter der gemeinsamen Bezeichnung Les Théâtres de la Ville de Luxembourg (Die Theater der Stadt Luxemburg) zusammengeschlossen. Tom Leick-Burns ist Intendant der Theater der Stadt Luxemburg und Anne Legill seine Stellvertreterin.

• Als Zweites zu nennen ist das Escher Theater in der rue de l’Alzette in Esch-sur-Alzette. Intendantin des Escher Theaters ist Carole Lorang.

Bei den Stadttheatern handelt es sich um öffentliche Theater, die größtenteils von der Gemeinde finanziert werden, in der sie angesiedelt sind. Wie alle luxemburgischen Theater, jedoch anders als die Stadttheater in Deutschland (und in anderen deutschsprachigen Ländern, in denen die Theater mit einem Ensemble- und Repertoiresystem arbeiten) funktionieren die Stadttheater nach einem sogenannten En-suite-Spielbetrieb, d. h. die dort arbeitenden Künstler sind allesamt Freiberufler/temporär beschäftigte Bühnenkünstler, die für die Dauer einer bestimmten Produktion auf Zeit eingestellt werden. Bei jeder Theaterproduktion erfolgt die Besetzung der Rollen durch den Regisseur, der häufig auch der Projektträger ist, und nach der letzten Aufführung löst sich die Truppe auf und verfolgt andere Projekte.

In einem En-suite-System wie in Luxemburg laufen die Stücke auf dem Programm oft nur eine Spielzeit lang, auch wenn sie sehr erfolgreich waren. In diesem System gestaltet es sich schwierig, ein erfolgreiches Stück zu verlängern, da die Künstler:innen der Schauspieltruppe oft im Anschluss bereits andere Engagements haben.

Regelmäßig stellt sich in Luxemburg aufgrund der Frustration angesichts der wenigen Aufführungstermine nationaler Produktionen die Frage, ob es nicht eines Repertoiresystems und fester Ensembles bedarf. Aber in einem Land, in dem die Zahl der Schauspielerinnen und Schauspieler nicht mehr als 40 beträgt, würde die Einrichtung eines festen Ensembles deutliche Probleme mit sich bringen, wie beispielsweise vertragliche Exklusivität oder die Aufführungssprachen.

Ashcan_Willy Perelsztejn ©Boshua

Die Stadttheater und auch das Escher Theater sind sogenannte Mehrspartenhäuser: Diese Spielstätten bringen nicht nur Theaterstücke auf die Bühne, sondern sie zeigen auch Tanzstücke (modernes Ballett) und Musiktheater, Opern, Musicals, Operetten sowie Theateraufführungen für Kinder und junges Publikum.

Die Theater der Stadt Luxemburg und das Escher Theater haben eine doppelte Aufgabe: Zum einen fungieren sie als Gastspieltheater, d. h. sie bringen Gastspielproduktionen zur Aufführung. Zum anderen produzieren die beiden Häuser aber auch eigene Stücke. Beide spielen jedoch auch auf europäischer Ebene eine wichtige Rolle als internationale Koproduzenten von Stücken, die sowohl von ihnen als auch im Ausland produziert wurden.

Neben den Stadttheatern gibt es noch vier private Theater:
• das Théâtre national de Luxembourg (TNL), geleitet von Frank Hoffmann
• das Kasemattentheater, unter gemeinsamer Leitung von Marc Limpach und Lex Weyer
• das Théâtre du Centaure, geleitet von Myriam Muller und Jules Werner
• das Théâtre Ouvert Luxembourg (TOL), unter der Leitung von Véronique Fauconnet.

Diese vier Theater gelten als private Theater, weil ihre Gründung auf eine Privatinitiative zurückgeht und sie auf dem Papier einer juristischen Person, einer VoG, gehören. Der Begriff „privates Theater“ hat in Luxemburg eine andere Bedeutung als in Frankreich, wo die öffentlichen und privaten Theater sich auch in ihren Programmen unterscheiden. In Luxemburg werden die privaten Theater lediglich anders finanziert als die Stadttheater: Sie erhalten ihr Budget vom Ministerium für Kultur. Sie werden auch „théâtres conventionnés“ genannt, da sie eine vertragliche Vereinbarung mit dem Kulturministerium haben, das ihnen jedes Jahr einen bestimmten Betrag für die Ausarbeitung ihrer Programme bereitstellt. Die in privaten Theatern an der Abendkasse erzielten Einnahmen (die manchmal bis zu 10 % des Gesamtbudgets einer Spielzeit ausmachen können) sind nicht zu vernachlässigen.

Die vier durch eine Vereinbarung staatlich unterstützten Theater werden ebenfalls nach dem sog. En-suite-System betrieben. Dennoch arbeiten diese Spielstätten häufig mit denselben Künstler:innen, und es sind in jeder Spielzeit mindestens eine bis zwei Inszenierungen des Intendanten oder der Intendantin der Spielstätte zu sehen. Die privat betriebenen Spielstätten sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eher als Produktions- denn als Gastspieltheater tätig.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen Häusern besteht in ihrer Programmgestaltung. Das Programm der Theater der Stadt Luxemburg, des Escher Theaters und des Théâtre national ist, ähnlich wie bei den meisten großen europäischen Häusern mit ihrer Mischung aus klassischen und zeitgenössischen Stücken, eher breit aufgestellt oder gefächert und bietet Produktionen in vier Sprachen (Französisch, Deutsch, Luxemburgisch, Englisch). Das Théâtre du Centaure und das TOL dagegen konzentrieren sich auf Werke zeitgenössischer französischsprachiger Autor:innen (dennoch kommt es vor, dass das Centaure pro Spielzeit den einen oder anderen Klassiker zum Besten gibt), wobei von Zeit zu Zeit auch luxemburgische Stücke gezeigt werden, während das Kasemattentheater den Schwerpunkt auf zeitgenössische deutschsprachige Autor:innen (bzw. auf ins Deutsche übersetzte Stücke) legt.

In Luxemburg gibt es weitere Theaterspielstätten und -häuser, insbesondere regionale Kulturzentren, die überwiegend von den Gemeinden finanziert werden, in denen sie angesiedelt sind:
• Centre des Arts Pluriels in Ettelbrück
• Mierscher Kulturhaus
• Kinneksbond in Mamer
• Kulturhaus Niederanven
• Centre Culturel de Rencontre Abbaye de Neumünster
• Centre Culturel Régional opderschmelz in Düdelingen
• Cube 521 in Marnich
• Kulturfabrik in Esch-sur-Alzette
• Rotondes in Luxemburg-Stadt (das Programm ist hauptsächlich auf ein junges Publikum ausgerichtet).

Bei diesen Spielstätten handelt es sich jedoch um Mehrzweckkulturzentren und Mehrspartenbetriebe, bei denen nicht nur Theater, sondern auch Konzerte, Ausstellungen, Lesungen und Workshops auf dem Programm stehen. Bis auf wenige Ausnahmen, wie das Mierscher Kulturhaus oder das Kulturzentrum Kinneksbond in Mamer, die gelegentlich eigene Aufführungen gestalten, besteht deren Aufgabe nicht in der Kreation neuer Theaterproduktionen.

Aufführungen, Ästhetik, Themen

Betrachtet man alle Spielstätten und Einrichtungen, lässt sich feststellen, dass mit eigenen Produktionen und Gastspielen pro Spielzeit im Durchschnitt 80 bis 100 Theateraufführungen auf den Bühnen in Luxemburg gezeigt werden.

40 bis 50 dieser Aufführungen sind in Luxemburg geschriebene und produzierte Stücke, was nicht unbedingt heißt, dass die gesamte Truppe aus luxemburgischen Künstler:innen besteht. Der interkulturelle Charakter der Luxemburger Theater- (und Literatur-)Szene bringt es mit sich, dass die für neue Produktionen zusammengestellten Teams fast immer aus Personen verschiedener Nationalitäten bestehen.

Ungefähr 30 bis 40 dieser Produktionen werden von luxemburgischen Regisseur:innen inszeniert (Fabio Godinho, Frank Hoffmann, Marja-Lena Junker, Daliah Kentges, Rafael David Kohn, Sophie Langevin, Carole Lorang, Claude Mangen, Myriam Muller, Renelde Pierlot, Anne Simon, Jacques Schiltz u. a.) und ca. zehn werden von Luxemburger Dramatiker:innen (Raoul Biltgen, Ian De Toffoli, Larisa Faber, Olivier Garofalo, Guy und Nico Helminger, Mani Muller, Guy Rewenig, Nathalie Ronvaux, Jeff Schinker, Elise Schmit usw.) in Luxemburgisch, Französisch, Deutsch und manchmal sogar in Englisch verfasst. Dabei ist zu erwähnen, dass einige dieser Stücke von den (wenigen) Theaterkompanien in Luxemburg produziert werden, wie Independent Little Lies, MASKéNADA und der von Carole Lorang mitgegründeten Compagnie du grand Boube.

Die auf den internationalen Bühnen derzeit am meisten gespielten Luxemburger Autoren sind Raoul Biltgen (in Deutschland und Österreich), Olivier Garofalo (in Deutschland) und Ian De Toffoli (in Frankreich und Italien).

Stücke von Myriam Muller, Anne Simon und Carole Lorang werden regelmäßig in den Nachbarländern Luxemburgs gezeigt.

Da es in Luxemburg keine Schauspielschule gibt, absolvieren die Künstler:innen ihre Ausbildung an den Hochschulen in Frankreich, Belgien, Deutschland oder England. Anschließend kehren sie – geprägt von der Formensprache und Ästhetik dieser Länder – in ihr Land zurück. Dies erklärt, warum postdramatische Inszenierungen ebenso auf den Spielplänen stehen können wie das deutsche Regietheater, die well-made plays aus dem angelsächsischen Raum und weitere Traditionen aus ganz Europa.

In der Geschichte des Dramas in Luxemburg lassen sich mehrere wiederkehrende Themen und Traditionen unterscheiden, wie die analytischen Dramen Pol Greischs der 1960er- bis 1990er-Jahre, die das enge kleinbürgerliche Milieu in Luxemburg schildern, sozialkritische Dramen aus dem Arbeiter- und Stahlarbeitermilieu von Guy Rewenig oder Fernand Barnich. Dagegen sind die jüngsten Themen sehr vielfältig und reichen von sozialpolitischem, dokumentarischem und historischem Theater bis hin zu persönlicheren Themen.

Hamlet_Miriam Muller ©Boshua

Events und Festivals

APPHUMAN_Ian De Toffoli / Sophie Langevin ©Boshua

Gewöhnlich endet die Theatersaison in Luxemburg mit zwei Festivals: Da ist zum einen das TalentLAB der Stadttheater, eine experimentelle Plattform, die jungen Künstler:innen die Möglichkeit bietet, den Entwurf eines laufenden Projekts vorzustellen, und zum anderen das Fundamental Monodrama Festival, bei dem ausschließlich Monodramen, Ein-Personen-Stücke, Monologe und andere Kurzformen auf dem Programm stehen.

Seit 2021 gibt es darüber hinaus die Mierscher Theaterdeeg, die im Mierscher Kulturhaus stattfinden und mit Aufführungen, Lesungen und Diskussionsrunden rund um das Theaterschaffen und -schreiben aufwarten.

Zudem wurde 2021 zum ersten Mal der Theaterpräis vergeben, der von nun an alle zwei Jahre ein Gesamtwerk, eine:n Nachwuchsschauspieler:in, ein nationales On-Stage-Werk und ein Backstage-Werk auszeichnen wird.

Mitglieder der 1995 gegründeten Fédération des théâtres (Theater Federatioun) sind nicht nur die sechs bereits erwähnten Theater, sondern auch die regionalen Kulturzentren, Tanz- und Theaterensembles sowie gewerkschaftlich orientierte Vereinigungen wie Actors.lu oder auch Aspro. Die Website der Theater Federatioun bietet zudem einen Überblick über die Programme aller Spielstätten der Luxemburger Szene. Die Theater Federatioun unterstützt ebenfalls luxemburgische Kompanien bei ihrer Präsenz auf dem Festival OFF d’Avignon, bei dem ihre Aufführungen in der Caserne, dem Aufführungsort des Grand Est, stattfinden.

Ei, ei, ei Luisa Bevilacqua / Linda Bonvini ©MikeZenari

Institut für Sprachen und luxemburgische Literatur

Contraction_s_Nathalie Ronvaux / Stéphane Ghislain Roussel

Es fällt auf, dass in den Schulbüchern keine Luxemburger Autor:innen (aller Sprachen) und Regisseur:innen erwähnt werden. Das Institut de langues et de littérature luxembourgeoise der Universität Luxemburg bietet jedoch einen speziellen Masterstudiengang zur luxemburgischen Sprache und Literatur an, der auch ein Modul zur Geschichte des luxemburgischen Dramas beinhaltet.

Ian De Toffoli, Schriftsteller und Dozent
Mai 2021